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Papst veröffentlicht erstes Interviewbuch

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„Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“ lautet der Titel des ersten Interviewbuchs von Franziskus in seiner Zeit als Papst. Man könnte ergänzen: „… und Barmherzigkeit ist mein Programm“. Und damit das auch zum Programm der katholischen Kirche wird, hat das Kirchenoberhaupt ein Außerordentliches Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Das Buch zeigt: Das Thema Barmherzigkeit durchzieht das ganze Leben und pastorale Wirken Bergoglios. Es ist keine Erfindung für seine Zeit als Papst. Auf den 126 Seiten wird auch deutlich, Franziskus wird bei diesem Thema nicht locker lassen. Zwar bleibt er in seinen Aussagen gewohnt allgemein, doch es ist klar, was er erreichen möchte: Das Gesetz der Kirche solle nicht ein „aut aut“ (entweder – oder) sein, sondern ein „et et“ (sowohl – als auch). Er kritisiert Heuchelei und Selbstgerechtigkeit in der katholischen Kirche. Wer von dem Interview große kirchen- oder weltpolitische Aussagen erwartet hat, wird enttäuscht. Es ist ein spirituelles Manifest. Franziskus liefert hier quasi den spirituellen und theologischen Unterbau für sein „Pontifikat der Barmherzigkeit“.

Das Interviewbuch erscheint zeitgleich in 86 Ländern. (Quelle: dpa/ansa)

Das Interviewbuch erscheint zeitgleich in 86 Ländern. (Quelle: dpa/ansa)

Barmherzigkeit als Lebensthema

Mit Spannung wurde es erwartet; manche werden enttäuscht sein. Denn das kleine Interviewbüchlein gleicht eher einer großen Morgenpredigt in Santa Marta als einem Grundsatzwerk über Gott, die Kirche und die Welt. Es fehlen konkrete aktuelle Bezüge, für die Franziskus in vielen seinen Ansprachen bekannt ist. Dadurch dürfte allerdings die Halbwertzeit des vorliegenden Werkes umso größer sein. Wer diesem Papst vorwirft, zu politisch zu sein, wird hier eines Besseren belehrt. Im Gespräch mit dem italienischen Vatikan-Journalisten Andrea Tornielli zeigt Franziskus auf, wie in seiner Biografie, der Heiligen Schrift sowie der Tradition der Kirchenväter der Gedanke der Barmherzigkeit als dem „ersten Attribut Gottes“ grundgelegt ist.

Dabei ist Franziskus überzeugt, dass die Welt heute Barmherzigkeit nötiger habe denn je. Sie leide unter „sozialen Krankheiten“, Armut, sozialer Ausgrenzung und „zahllosen Formen der Sklaverei“. „Auch der Relativismus verwundet die Menschen“, ist er überzeugt. Zudem sei „das Gefühl für die Sünde“ verloren gegangen. Viele betrachteten Sünde als unheilbar, und es mangle an Glauben, dass es Erlösung gebe. Viele Menschen bräuchten jemanden, der ihnen zuhört und sie begleite. Deshalb brauche es ein „Apostolat des Hörens“, so Franziskus.

Suche nach dem Türspalt

Er misst dabei der Beichte eine große Bedeutung bei. Allerdings müssten die Menschen vom Beichtvater „gehört“ und nicht „verhört“ werden. „Es gibt auch ein Übermaß an Neugier, vor allem in sexuellen Dingen“, kritisiert Franziskus. Auch wenn ein Priester in manchen Situationen keine Absolution erteilen könne, so solle er den Beichtenden segnen. „Die Liebe Gottes ist auch für jene da, die nicht in der Lage sind, das Sakrament zu empfangen“, stellt er fest. Die Kirche verurteile die Sünde, aber nicht den Sünder, der sich als solcher erkenne. „Die Kirche ist nicht in der Welt, um zu verurteilen, sondern um die Begegnung mit der ursprünglichen Liebe zu ermöglichen.“ Deshalb müsse sie hinausgehen aus den Kirchen und Pfarrhäusern zu den Menschen. Einmal mehr gebraucht er das Bild von der Kirche als Feldlazarett. Sie sei gleichsam eine „mobile Einrichtung für die Erste Hilfe“.

Immer wieder fällt das Wort „Türspalt“ im Interview. „Als Beichtvater habe ich, selbst wenn ich mich vor einer verschlossenen Tür fand, immer den einen Spalt gesucht, der mir erlauben würde, diese Tür zu öffnen und Vergebung zu schenken, Barmherzigkeit.“ Dabei genüge ein winziger Türspalt. „Es reicht schon, wenn wir unseren Zustand ernst nehmen.“ Und genau hier setzt Franziskus auch eine Hürde gegenüber Beliebigkeit. Der Sünder muss sich seines Fehlers bewusst sein. Er warnt vor Eitelkeit und Selbstgefälligkeit.

Kritik an Heuchelei

Seinen Kritikern schreibt er ins Stammbuch, dass Barmherzigkeit und Wahrheit keine Gegensätze seien, ebenso wenig Barmherzigkeit und Lehre. „Barmherzigkeit ist wahr, sie ist das erste Attribut Gottes“, stellt er fest, Barmherzigkeit ist die Lehre“. Er erneuert seine Warnung, zu sehr am Buchstaben zu kleben und darüber die Wirklichkeit, den Menschen zu vergessen. Jesus habe etwa bei der Heilung des Leprakranken „die Situation einfach am grünen Tisch studiert, er hat keine Experten um Pro und Contra befragt“. Für ihn sei es darum gegangen, die Fernen zu erreichen und zu retten. Diese Haltung habe zu Jesu Zeiten Anstoß erregt und mache das auch heute. „Sie lässt all jene murren, die gewöhnt sind, alles einzig und allein nach Maßgabe ihrer Denkschemata zu regeln, ihrer ritualistischen Reinheit, statt sich von der Wirklichkeit überraschen zu lassen.“

Scharf kritisiert Franziskus Heuchler: „Menschen, die sich an den Buchstaben des Gesetzes klammern, aber die Liebe vernachlässigen, Menschen, die nur Türen zuschlagen und Grenzen ziehen können.“ Diese ließen sich auch gerne „Meister“ nennen. Dann ist es nach Franziskus nicht mehr weit zu einer Form des Klerikalismus, „für die Einstellung all jener, die sich rein fühlen“. „Wenn ein solcher Mensch ein Diener Gottes ist, dann glaubt er am Ende, ein ganz anderer zu sein als das Volk, ein Herr über die Lehre, ausgestattet mit Macht, und dem Wunder Gottes verschlossen,“ so Franziskus. Bisweilen habe er sich dabei ertappt, so der Papst, „dass ich bestimmten, sehr rigiden Gläubigen gewünscht habe, sie möchten doch einmal straucheln, denn dann könnten sie sich als Sünder erkennen und Jesus wirklich begegnen“, gesteht das Kirchenoberhaupt.

Unverständnis zeigt Franziskus dafür, wenn Menschen, die sich der Kirche suchend zuwenden, verschlossene statt offene Türen vorfindet. „Er muss Aufnahmebereitschaft finden, keine Verurteilung, kein Vorurteil und keine Strafe.“ Manchmal bestehe das Risiko, „dass die Christen mit ihrer Psychologie der Gesetzestreue das Feuer löschen, das der Heilige Geist im Herzen des Sünders entzündet hat“. Als Gründe, warum Menschen sich von Kirche abwenden, macht Franziskus Gier, fehlende Barmherzigkeit und Sturheit aus. Jesus habe seine Jünger nicht ausgeschickt als „Statthalter der Macht oder Hüter des Gesetzes“. Er habe sie in die Welt geschickt, „damit sie dort nach der Logik der Liebe und Selbstlosigkeit leben“, so das Fazit des Papstes.

Nur kurz aktuelle Themen gestreift

Auf aktuelle Fragen wie wiederverheiratete Geschiedene geht Franziskus in dem Interview nicht ein. Einzige Ausnahme ist eine Frage zum Thema Homosexualität. Dabei bekräftigt er seine Auffassung, dass Schwule und Lesben, die guten Willens seien und Gott suchen würden, nicht zu verurteilen seien. Niemand dürfe Homosexuelle „an den Rand drängen“. Alle Menschen seien „von Gott geliebte Geschöpfe, denen er seine unendliche Liebe zuteilwerden lässt“.

Das Interviewbuch ist sicherlich nicht zu vergleichen mit „Licht der Welt“, dem großen Interviewbuch von Papst Benedikt XVI. Das jetzige ist im Umfang viel geringer und eben auf das Spirituelle konzentriert. Es fasst die Gedanken von Papst Franziskus zum Thema Barmherzigkeit zusammen, die er an vielen anderen Stellen im Verlauf des knapp dreijährigen Pontifikats bereits ausgeführt hat. Es legt natürlich eine Spur dafür, was etwa bei Fragen der wiederverheirateten Geschiedenen zu erwarten ist. Es ist ein geistlicher Leitfaden für das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aus journalistischer Sicht ist vielleicht doch eine Chance vertan, im Interview mit dem Papst konkreter über sein Amt, die Kirche und die Welt zu sprechen. Doch das war offenbar nicht Ziel des Buches.


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